Re: Wegen Selbstmord
myrrhe schrieb am 7. Dezember 2002 um 8:31 Uhr (678x gelesen):
Hallo Michi,
Dein langer Brief an das Forum zeigt mir, daß Du
eigentlich doch am Leben hängst, daß Du deshalb um
Hilfe bittest – warum sonst würdest Du so viel
schreiben? Festentschlossene machen nicht viele
Worte…
Und es ist gut so! Denn das Leben ist ein sehr, sehr
kostbares Geschenk, das wir gewählt haben, um zu
lernen. Und wir lernen – leider – am effektivsten durch
Leiden.
Hast Du Dich mal mit dem Tod beschäftigt, was er ist,
wo wir hingehen? Manche stellen sich den Tod so vor,
daß wir dann nichts mehr sehen und fühlen, andere
denken an das Paradies, in dem alles schön und
friedlich ist und alle Probleme vergessen sind.
Dem ist nicht so! Der Tod ist ein Übergang, wir legen
unseren Körper ab, aber nicht unsere Persönlichkeit!
Was heißt das? Das heißt nichts anderes, als das wir
unsere seelischen Probleme mit nach "drüben"
nehmen und damit dann in noch stärkerem Ausmaß
konfrontiert sind als vorher! Warum? Nun, weil die noch
Lebenden uns nicht mehr sehen können, wir mit ihnen
also auch nicht reden können. Wir können auf der
materiellen Ebene nichts mehr korrigieren! Wir erleben
die Trauer der Angehörigen und Freunde, und wir
können ihnen nicht sagen, daß wir noch da sind, sie
lieben, uns wegen unserer Fehler schämen usw.
Du hast sicher noch gut die Predigten des Priesters
über Hölle und Fegefeuer im Ohr; jeder hört sie ja
einmal. Hölle und Fegefeuer, das ist unser eigenes
Gewissen! Das ist unsere Qual, wenn wir drüben sind,
daß wir unsere Fehler erkennen und sie nicht
reparieren können! Und stell Dir vor, wie schlimm es
ist, wenn Du drüben erkennst, daß Dein Freitod ein
Fehler war – und nichts, rein gar nichts kannst Du
wiedergutmachen!
Nein, ein Selbstmord – wähle nur dieses harte Wort! –
ist kein Ausweg. Wir leben hier und jetzt, wir haben hier
und jetzt unsere Aufgaben. Es ist Deine Aufgabe, aus
Deinem Dilemma herauszukommen – und Du schaffst
es! Warum auch nicht? Dein Brief zeigt ja, daß Du viel
von Dir erkennst. Versuche, einen Gesprächspartner zu
finden, der Dir hilft. Vielleicht einen Therapeuten – das
ist keine Schande, ich gehe selbst seit einem Jahr in
Therapie und bin froh darüber –, der hat Hilfestellungen
und Lösungsvorschläge für Deine Probleme.
Überlege Dir mal, wie viele Menschen es gibt, die ein
seelisches oder körperliches Leiden haben. Mir ist vor
zwei Monaten mein lieber Mann gestorben, nach einer
ganz intensiven Beziehung. Sollte ich jetzt den Kopf in
den Sand stecken und mich auch verabschieden von
hier, zu ihm gehen? Nein, das wäre nicht die richtige
Lösung: ich habe hier was zu lernen, nämlich das
Loslassen. Es wird der Tag kommen, wo ich sowieso
rübergehe, wir gehen ja alle dorthin. Und in der
Zwischenzeit habe ich Aufgaben zu erfüllen, mich
weiterzuentwickeln – einfach dieses gewählte Leben
nach bestem Wissen und Gewissen auszufüllen.
Überlege Dir noch einmal genau: auch Du bist hier, um
Aufgaben zu erfüllen und zu lernen. Was könnte dies
sein? Wo siehst Du Möglichkeiten, Dich zu
verwirklichen, etwas zu tun? Vielleicht anderen
Menschen zu helfen? Wenn Du Dir erst einmal selbst
hilfst, bist Du dann umso mehr in der Lage, auch
anderen zu helfen!
Bedenke: wir haben dieses Leben nicht, um es
wegzuwerfen. Wir tragen Verantwortung für uns, unsere
Mitmenschen (Deinen Freund!!), die Natur. Jeder
einzelen wirkt am Ganzen mit, und jeder einzelne trägt
zur Erscheinung unserer Erde bei. Auch Du! Werde Dir
Deiner Verantwortung bewußt.
In Liebe,
myrrhe

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